Ganymed auf dem Adler
Inv.-Nr. B XVI. Tab. B-IV-54
Künstler Giovanni Bernardi da Castel Bolognese (1494-1553), (?)
Ort Italien
Datierung 1. Hälfte 16. Jh.; Fassung: 16. Jh.
Steinschnittart Kamee
Material Sardonyx
Materialbeschreibung vierschichtig: Hauptgruppe Ganymed und Adler in warmem Braunton; Wolkenbauchungen in der linken oberen Hälfte in Hellbraun, in den übrigen Teilen bereits aus der mittleren weißen Schicht; Hintergrund transluzid
durch unterschiedliche Politur entsteht eine deutliche Differenzierung: Adler stark glänzend, Ganymed im Kontrast dazu matt, alles übrige ist stark poliert
Form Breitoval
Fassung Silber, vergoldet; Randfassung mit fester Platte auf der Rückseite, oben Öse mit Ring
Maße mit Rückplatte 2,44 x 3,77 x 0,58 cm Fassung mit Ring 3,36 x 2,89 x 4,18 cm
Beschriftung rückseitig Aufkleber (Typ D): "644"
Provenienz 1753 Kunsthaus
Zustand bestens erhalten, lediglich der hinterlegte Grund durch Zersetzung etwas fleckig
Beschreibung und Einordnung Die landgräfliche Kameensammlung in Kassel besitzt zwei Kameen mit Ganymed-Darstellungen (s. die Beschreibung bei B XVI. Tab. B-IV-51). Sie demonstrieren das Spektrum der Möglichkeiten der Glyptik, denn sie sind in der Verwendung des Steinmaterials äußerst verschieden.
Die Reliefdarstellung des Kameos B XVI. Tab. B-IV-51 zeigt durch den zweifarbigen Chalcedonachat ein einheitliches Bild. Die Darstellung ist zwar bewegt, doch hat man den Eindruck, daß Ganymed sich seinem Schicksal fügt.
Der zweite hier behandelte Kameo ist in jeder Hinsicht ein auffallendes und außergewöhnliches Exemplar. Allein schon der Stein in seiner Vielschichtigkeit wirkt bunt und lebendig. Die Farbe entwickelt sich vom glasklaren Hintergrund nach vorne und steigert sich zur farbigen Verdichtung bis zum mittleren Braunton der Figuren. Der Stein selbst ist durch seine schräge Randabschleifung bildmäßig gestaltet, das Breitoval entspricht dem von Michelangelo beeinflußten Vorbild. Das Inkarnat ist matt bearbeitet, die übrigen Teile sind glänzend poliert und ergeben dadurch einen eindrucksvollen Gesamteindruck. Der Kopf des Ganymed hat einen jugendlichen, beinahe kindlichen Ausdruck. Der Adler mit seinen weiten Schwingen zeigt eine kleinteilig dekorative Binnenzeichnung. Die dramatische Szene wird umgeben von einem Wolkenband, das von alternierend geschwungenen Formationen unterbrochen wird.
Ob dieser Kameo von dem verlorengegangenen Steinschnitt des Giovanni Bernardi da Castel Bolognese direkt abzuleiten ist oder ob es sich möglicherweise sogar um das berühmte verlorengegangene Original handelt, läßt sich nicht klären.
Jedenfalls erkannte Völkel die große Bedeutung dieses Steinschnitts und verbarg ihn vor der Beschlagnahmung durch die Franzosen (s. die Beschreibung in Völkels Inventar von 1791).
Stand: November 2006
Quellen
Inventar Völkel 1791, Tab. VII. 54: "Ganymedes. Sardonyx. Um diesem Cameo, einen der besten von der Sammlung, dem Räuber der Gemmen 1813 zu entziehen, legte ich einen weniger guten von der 4ten schwarzen Tafel, Neptun und Amphitrite an seine Stelle, u. behielt ihn zurück. Er liegt noch an der Stelle von jenem auf der schwarzen Tafel."
Pretiosen-Inventar Völkel 1827 (B II), Inv.No. B II. 644
Inventar Pinder 1873 (B XVI), B. Tab. IV. 54: "Ganymedes vom Adler in die Wolken getragen. Sardonyx. Pretiosen / Jetzt Pret. V. No 644. / Hier liegt jetzt die Arche Noah, bisher Tablette II No 16."
Preziosenliste Lenz 1881, Inv.No. V. 644
Literatur
Möbius 1929, S. 52
Vergleich Frey 1909-1911, Bd. I, Taf. 8; Bange 1922, Nr. 876, Taf. 74; Lippold 1922, Taf. 138, Nr. 1; Slomann 1926, S. 9ff.; Kris 1929, Nr. 236, 239, Taf. 57 u. S. 62-64; Kagan 1973, Nr. 30; Donati 1989, S. 82, Taf. XVI; Weber 1992, Nr. 97; Gasparri 1994, Nr. 59, Abb. 32; AK München 1995, S. 134, Abb. 5; R. Distelberger, in: AK Wien 2002, S. 75, 77
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