Beschreibung und Einordnung Bei dieser großen Kamee handelt es sich um ein außergewöhnliches Stück. Der bisher anonym geführte Commesso dürfte ein eigenhändiges Werk von Ottavio Miseroni (1568-1624) sein, einem der Hofkünstler Kaiser Rudolfs II. und Erfinder dieser Art der Commesso-Technik. Unter einem "Reliefcommesso" (den Begriff prägte Rudolf Distelberger) versteht man Kompositarbeiten aus verschiedenfarbigen Edelsteinmaterialien, in diesem Fall aus fünf verschiedenen, die zu einer Einheit zusammengesetzt worden sind. Der Begriff 'Commesso' leitet sich vom italienischen commettere 'zusammensetzen' ab. Die neuartige Erfindung von Miseroni, der als einer der bedeutendsten Glyptiker der Spätrenaissance gilt, bestand darin, daß er die bereits bekannte Pietra-dura-Technik auf die Kamee in Relieftechnik übertrug.
Die Halbfigur einer Frau, nach links ins Profil gewendet, könnte Diana oder Omphale darstellen. Der Stein wirkt durch seine reiche Farbigkeit. Das rosige Inkarnat und das weiße, um den Hals gefältelte schmale Tuch sind aus Chalcedon, die streifig gestalteten Haare aus rötlichem Karneol. Ein flach nach oben und unten gezogenes Haarteil am Hinterkopf ist bis auf den mittleren Ansatz verloren. Das Gewand ist aus dunklem, grün-blauem Moosachat mit rot-gelb gesprenkelten Einschlüssen, der Umhang mit dem Löwenmaskaron über der Schulter aus ockerfarbenem Jaspis. Alle Teile sind auf einer transluziden hellbeigen Chalcedonplatte in hochovaler Form befestigt.
Im 16. und 17. Jahrhundert sind signierte Kameen äußerst selten. Dementsprechend rar sind Zuschreibungen an bestimmte Steinschneider. Ottavio Miseroni signierte selbstbewußt mit seinem Monogramm "OM" oder "Ott.M.", außerdem sind zahlreiche Werke aufgrund archivalischer Belege für ihn überliefert, so daß Rudolf Distelberger (in: AK Wien 2002, Nr. 142-171) ein Oeuvreverzeichnis Miseronis zusammenstellen konnte. Bei dem hier besprochenen Commesso kann man seine charakteristischen Stilmerkmale finden, die bereits bei Eichler und Kris (Eichler/Kris 1927, Nr. 302-305) ausführlich angesprochen und von dem signierten Marien-Commesso in Wien (Eichler/Kris 1927, Nr. 302) abgeleitet wurden: die weiche Linienführung und Modellierung, das klare Profil, die mandelförmigen Augen mit schwellenden Lidern, der gerade und lang wirkende Übergang zur schmalen Nase, der ernste Mund, die charakteristische Kinnlinie und der lange Hals mit der eingezogenen Ansatzlinie zum Schlüsselbein.
Der hier besprochene Commesso trägt auf der Rückseite das Klebeetikett "B III 32", es ist wohl versehentlich mit der Nr. "30" vertauscht worden, da dort alle Angaben übereinstimmen. Völkel und Pinder identifizieren die Dargestellte mit "Crispina". Die Daten von Crispinas kurzem Leben werden mit 164-188 n. Chr. angegeben. Seit 178 war sie Gemahlin des Kaisers Commodus und besaß Münzrecht und Augustatitel. Ein Vergleich mit gesicherten Porträts der Kaiserin läßt diese Identifizierung als wenig überzeugend erscheinen. Im römischen Münzbild hat Crispina eine auffallend gebogene Nase, von dem das geradlinige Profil der Kasseler Kamee deutlich abweicht. Möglicherweise kamen Völkel und Pinder deshalb auf Crispina, weil das Löwenfell über der linken Schulter der Frauenbüste als Anspielung auf Commodus verstanden wurde, der sich mit Herakles identifizierte, und weil Crispina als schlichte, schöne und ernste Frau galt. Der Löwenmaskaron als einziges Attribut könnte jedoch auch auf eine mythologische Gestalt hinweisen: In Frage kommen Diana oder Omphale.
Hinzuweisen ist auf ein verblüffendes Parallelstück, einen etwas kleineren "Diana"-Commesso in Kopenhagen (De Danske Kongers Kronoligske Samling, Inv.Nr. 42142). Bei der dort Dargestellten ist der untere Teil an dem zusammengeknoteten Haarteil am Hinterkopf noch erhalten. Möglicherweise handelt es sich bei dem Kopenhagener Exemplar um eine Variante des Kasseler Stücks aus der Prager Werkstatt.
Stand: April 2006
Quellen Inventar Völkel 1791, Tab. I. 30: "Crispina. Zusammengesetztes Brustbild aus grünem, gelben Jaspis u. Carneol auf eine Achatplatte aufgeklebt."
Inventar Pinder 1873 (B XVI), B. Tab. III. 30: "Angeblich Crispina, zusammengesetzt aus farbigem Jaspis auf Achat."
Inventar Pinder 1882-1897 (B V), Tab. I. 30: "Crispina? Zusammengesetzt aus farbigem Jaspis auf Achat."
Literatur Schnackenburg-Praël 1998, S. 1722-1724; H. Schnackenburg-Praël, in: Kat. Kassel 2001, S. 152f. mit Abb.
Vergleich Eichler/Kris 1927, Nr. 302-305, Taf. 42; Kris 1929, Nr. 597ff., Taf. 178; R. Distelberger, in: AK Essen/Wien 1988, Bd. I, S. 507, Kat.Nr. 374, Bd. II, S. 240, Kat.Nr. 376; Distelberger 1978, S. 135 mit Abb. 112; J. Hein, in: AK Prag 1997, S. 479, Kat.Nr. II.3; R. Distelberger, in: AK Wien 2002, S. 245-248, 258-287, Kat.Nr. 142-171
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