Beschreibung und Einordnung Eindrucksvoll in seiner klassischen Schlichtheit zeigt der künstlerisch qualitätvolle Kameo das Brustbild eines ernst blickenden Mohren, nach links gerichtet. Das ausgeprägte Profil zeigt eine breit gedrückte Nase, volle Lippen und ein energisch vorstehendes Kinn. Die Pupille ist von oben angestochen. Die Frisur ist schematisch aus gleichmäßigen kleinen Kräusellocken gebildet. Der Dargestellte trägt einen Brustpanzer und eine auf der linken Schulter durch eine Schließe gehaltene Toga, die in gleichmäßigen Falten schüsselförmig vor der Brust herabfällt.
Der zweifarbige Stein eignet sich besonders gut für die Mohrendarstellung und ergibt einen effektvollen Hell-Dunkel-Kontrast. Das figürliche Relief ist aus der tiefbraunen oberen Schicht geschnitten, der Hintergrund aus der weißen Schicht. Das Inkarnat setzt sich in weicher Mattheit von dem glatt polierten Haar, dem Gewandstück und dem Hintergrund ab, so daß der Gesichtsausdruck stark zur Wirkung kommt.
Weber datiert einen Münchner Kameo mit einem "Brustbild eines Negers" ins frühe 17. Jahrhundert (Weber 1992, Nr. 180). Der Kasseler Kameo ist im Typ des Profilporträts (die Mohrendarstellungen sind häufiger frontal dargestellt) zwar ähnlich, aber wegen seiner Strenge sicherlich früher zu datieren.
In der Regel wurden die zahlreichen Mohren-Kameen dieser Epoche bisher als "Italien, 16. Jahrhundert" (Eichler/Kris 1927, Nr. 294) bestimmt. Die qualitätvolleren Stücke wurden allgemein der Prager oder Mailänder Miseroni-Werkstatt zugeschrieben. Distelberger revidierte bei einem Commesso "Diana als Mohrin" der Wiener Kunstkammer seine frühere italienische Zuschreibung (R. Distelberger, in: AK Essen/Wien 1988, Bd. 2, Nr. 715). Weber erwähnt bei einer Gruppe von Mohren-Kameen die betonte Kontrastwirkung von polierten und unpolierten Flächen (Weber 1992, Nr. 198). Aufgrund der kontrastreichen Behandlung der Oberfläche schließt sie eine Entstehung in Frankreich nicht aus. Diese Meinung greift Distelberger bei dem oben erwähnten Wiener Commesso nach einer eingehenden Untersuchung auf und bezeichnet ihn als französisch, vor 1560 (R. Distelberger, in: AK Wien 2002, Nr. 130). Er nennt folgende Kriterien: "Die Kamee ist ganz in antikischem Stil gearbeitet: strenges Profil, ohne Unterschneidungen und relativ flaches Relief. Darin unterscheidet sie sich prinzipiell von den Mohrinnen der Miseroni. Sind diese bewegt und vom reichen Gekröse des Schmucks und der Draperie umgeben, so strahlt die Diana größte Ruhe und Harmonie aus ... Die Augen sind nicht gestochen. Der Wechsel zwischen matten und polierten Teilen, wie hier zwischen Inkarnat und Haar bzw. dem hellen Grund, ist charakteristisch für französische Kameen."
Beim Detailvergleich mit dem Kasseler Mohren-Kameo überwiegen die von Distelberger aufgestellten 'französischen' Kriterien: "der extreme Klassizismus, die parallelen Faltenschwünge, die differenzierte Gestaltung der Haare und der Wechsel zwischen matten und polierten Teilen". Trotz dieser gemeinsamen Merkmale fällt die Entscheidung bei dem Kasseler Stück schwer, ob es italienisch oder doch französisch ist.
Seelig befaßte sich ausführlich in der Ausstellung "Mohrenkopfpokal von Christoph Jamnitzer" (L. Seelig, in: AK München 2002, S. 87f.) mit dem Mohrenthema in der Glyptik und bezeichnete noch die dort abgebildete Wiener "Diana als Mohrin" (L. Seelig, in: AK München 2002, S. 88, Abb. 54) als " Miseroni-Werkstatt, Mailand". Er vertritt die Ansicht, daß "das Thema des Schwarzafrikaners fast ausschließlich von italienischen Künstlern in den verschiedensten Gattungen, von dem schmuckhaften Kameo und der preziösen Statuette bis zur monumentalen Plastik, behandelt wird. Erst vom früheren 17. Jahrhundert an wenden sich niederländische Bildhauer verstärkt den Afrikaner-Darstellungen zu, was sich möglicherweise auch aus der zunehmenden Präsenz von Schwarzen in den Seehäfen der Niederlande erklären mag."
Beispielhaft zeigt die Diskussion dieses Mohren-Kameos, wieviel Forschungsbedarf noch besteht und welche Bedeutung der Klärung der verschiedenen Steinschneidezentren zukommt.
Stand: April 2006
Quellen Inventar Völkel 1791, Tab. XXII. 5: "Ein Mohrenbrustbild auf einem Achat aufgelegt."
Pretiosen-Inventar Völkel 1827 (B II), Inv.No. B II. 646
Inventar Pinder 1873 (B XVI), B. Tab. V. 5: "Mohrenkopf. / Jetzt Pret. V No. 646. Dunkel auf Achat. XXII 5. / Pretiosen / Hier liegt jetzt der Philipp v. Spanien, bisher Tablette VIII No. 60."
Preziosenliste Lenz 1881, Inv.No. V. 646
Literatur unpubliziert
Vergleich Eichler/Kris 1927, Nr. 294, Taf. 40; R. Distelberger, in: AK Essen/Wien 1988, Bd. 2, Nr. 715; Weber 1992, Nr. 180, 198; L. Seelig, in: AK München 2002, S. 87, 88, Abb. 54; R. Distelberger, in: AK Wien 2002, Nr. 130
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